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Ein Passionsweg

1

So bin ich denn zum Fallensteller geworden, zähle zum feigesten, verächtlichsten Typus der Jäger. Industrieller des Tötens, der die direkte Auseinandersetzung scheut. Explosionsknall, Schmerzenschrei, Blut, damit will er nichts zu tun haben. Dreckarbeit meidet er, dafür hat er seine Maschinen. Die erledigen das.

2

Wie unmenschlich früh muß er aufstehn, jener Jäger, der auf den Anstand zieht. Der Fallensteller hat´s besser, freilich, Langschläfer ist auch er nicht. Unruhe weckt ihn – er muß wissen, wie´s um seine Kurswerte steht. Haben seine Maschinen Kapital eingetragen? Gibt´s Gewinn zu verbuchen?

3

Hitze verursacht den Totschlag im Affekt, der ausgeklügelte Mord dagegen wird eiskalt ausgeführt. Zu den Kalten, Klügelnden zählt auch der Fallensteller, wobei meine Kälte sich stark relativiert zeigt: Für gewöhnlich kennt ein Trapper sein Opfer noch nicht. Seinen Anschlag verübt er nicht als gezieltes Attentat gegen ein prominentes Individuum. Vielmehr richtet sich dieser gegen einen nicht persönlich spezifizierten Vertreter einer ganzen Gattung. Anders in meinem Fall. Einen Körperteil des Objektes meiner Verfolgung hab ich bereits erspäht, gestern, da dieses Objekt jenen Körperteil aus meinem Bücherregal hervorstreckte: die winzige Mausenase.

4

Meine Feindin ist stärker als ich, weitaus robuster. Fetter Speck, Brotschimmel, Gurkenschalen – alles schädlich für mich, nicht für sie. Sie kann sich von meiner Wohnungseinrichtung ernähren: Holz, Sisal, Pfandwertflaschen aus Kunststoff, alles verwertbar – und Papier!

Eine Maus im Regal eines Schriftstellers bedeutet den größten anzunehmenden Unfall. Friedrich Engels hat ein bedeutendes Marx-Manuskript nur knapp vor den Mäusen retten können, im letzten Augenblick und schwer beschädigt.

Und hier bei mir? Kein Engels weit und breit.

5

Vorsicht, Tretminen! Meine Wohnung trägt Mausefallen: Drahtgestelle unter Hochspannung, keiner elektrischen, sondern mechanischer Hochspannung.

Drahtverhaue, die einschränken – meine Wohnung trägt Mausefallen, wie ich früher Zahnspange tragen mußte.

6

Wer in amerikanischen Nationalparks campiert, hängt seinen Rucksack hoch in einen Baum: damit nicht hungrige Bären diesen Sack im Zelt aufstöbern und kollateral den Besitzer zerquetschen.

Zerquetschen wird die Maus mich nicht, doch auf dem Weg zum nächsten Nageobjekt kann sie kollateral durch mein Gesicht laufen.

Schlafen werd ich nicht im Bett, das nah beim Bücherregal steht. Dort haust der Feind. Schlafen werd ich im Musikzimmer, auf dem Fußboden im Schlafsack, bei verschlossener Tür.

7

Eine Dame hatte mir Liebe signalisiert gehabt und bald darauf alles quittiert.

Später hat sie´s so begründet: Die Bedingungen warn halt zwischenzeitlich mal so, daß du hier andocken konntest. Und dann hat sich das alles als Mißverständnis erwiesen.

Liebe Maus, die Bedingungen warn halt mal so, daß du durch die Gartentür reinkonntest. Nun erweist sich das als Mißverständnis. Mausverständnis.

8

Welche Diskretion, welche Höflichkeit. Sooft ich im Haus zugange bin, ist nichts von ihr zu bemerken, kein Mucks, kein Geruch, kein Stückchen Pelz. Wär wichtiger geschäftlicher Besuch da oder gar meine Mutter – kein Problem. Maus, wärst du Mensch, du wärst mir hoch sympathisch. Von meinen Übernachtungsgästen zeigst du die weitaus besten Manieren. Genetisch dir eingepflanzt in dein aristokratisches Blut. Nur die Kakerlaken einst zeigten ähnlich feines Gespür. Mäuse und Kakerlaken, die Hochadeligen.

9

Aber-aber: Wähnt die Aristokratie, unter sich zu sein, da läßt sie´s krachen.

Ich bin weder Katze, noch bin ich aus dem Haus. Doch meine Maus tanzt. Auf dem Tisch? Sicher auch dort. Drei Uhr dreißig nachts, Rush hour der Maus, Prime Time. Sie ist super drauf. Wo drauf? Überall. Ihr Tanzstil ist verschwenderisch, die Beats erzeugt sie selbst, die Frequenz ist schwindelerregend. Drei Räume durchtobt sie, gern würd sie auch den vierten nutzen, wo ich ängstlich mich krümme.

10

Eine der Fallen ist umgekippt. Der Tötungsmechanismus hat ausgelöst.

Der Speck ist noch drin. Was hat das zu bedeuten?

Ist sie dem System gerade noch entronnen und kennt sich jetzt aus damit, für immer immun/gefeit gegen die Verführung?

Hat sie sich schwer verwundet verkrochen im hintersten Winkel, wo erst in einer Woche mein Geruchssin ihren Kadaver ausfindig machen wird?

11

Sie ist da und stirbt.

Sie liegt da, etwas Blut im Nasenloch, etwas Blut im Nacken, tödlich verwundet. Offenbar, der Bügel hat sie erwischt. Wie ist das immer erzählt worden – ein Tier sondert sich von der Herde ab für die letzten Stunden, der Indianer geht allein in die Wildnis, um die Familie nicht zu belästigen mit seinem Tod. Und sie? Zum Sterben ist sie vors Bücherregal herausgerobbt – damit ich nicht ihren Leichnam suchen muß. Wo ich sie doch so gastlich aufgenommen habe.

12

Ecce Mauso.

Im Film würd jetzt lautes Staccato einsetzen. Hier ertönt etwas sehr Leises, in sehr hoher Frequenz: ein Pfeifen. Wär ich etwas älter, würd ich es gar nicht mehr hören.

Und weil man auch in tiefster Rührung nicht vor unsinnigen Gedanken gefeit ist, fällt mir ein Heinz-Erhardt-Gedicht ein: Die Katze, die soeben eine Maus verspeist hat, sieht eine Fledermaus und denkt: „Wie süß!/ Da fliegt die Maus, die ich verspeiste,/ als Engelein ins Paradies!“ Meine Maus ist schon beinah Fledermaus-Englein geworden – die Laute, die sie ausstößt, zähl´n schon fast zum Ultraschall.

13

Warum Zivilisation, warum Häuser, die sich vor Mäusen scheuen, warum kein gleichberechtigtes Miteinander von Mensch und Maus? Ich möchte die Uhr um hunderttausend Jahre zurückdrehn und mit Fred Feuerstein durch die Urzeit spazieren, mein Mäuslein putzmunter neben mir.

14

Ich will mir das nicht länger mitanhören. Ich geh ins Stammlokal, beim zweiten Wein fällt mir das alte Passionslied ein: „Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden/ und du mußt leiden.“

Christoph, dem ich erzähle: Bei mir zuhaus stirbt gerade eine Maus, Christoph sagt: wirf sie in einen Wassereimer und Basta.

Mich schaudert. Wasser, wie grausam!

Schnell bestell ich noch einen Wein.

15

Ich kehr zurück in die Wohnung. Im Flur, im Stockdunkeln, lausche ich. Was ist zu hörn?

Nichts zu hören.

Zögernd schalte ich Licht ein. Sehr zögernd geh ich aufs Zimmer zu. Eine harte Stimme in mir drin sagt: „Kommen Sie. Sie müssen den Leichnam identifizieren.“

16

Eine dicke Papierserviette, mit der ich das Ganze anfasse – ein Leichentuch.

Die Falle – mit in den Sarg. Das Stück Speck, das nicht angerührt ist – mit in den Sarg. Alte Tradition: Den Toten Essen mit ins Grab zu geben.

Auch der Sarg ist aus Papier. Er trägt eine Aufschrift: Büchereck Baumschulenweg GbR www.buechereck-baume.de. Werbung auf Särgen, so weit ist es gekommen.

17

Ich kaufe eine Lebendfalle. Ein Rohr mit einem Knick drin, ein Ende ist geschlossen, eins trägt eine Klappe, die von selbst zufällt.

Und die von mir wieder geöffnet werden kann, wenn ich die Maus im Garten wieder freilassen will.

Das Tier, das solches Procedere überlebt haben wird, jubilieren wird es in allen Sopran- und Baßlagen. Und erzählen wird es von einem Stein, der nach drei Tagen weggerollt worden ist vom Grab.

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