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Hier handelt sich´s um keinen feststehenden Text, vielmehr um einen Pool von Strofen (insgesamt 15 seien erschienen, sagen Cohen-Kenner). Aus denen werden jeweils einige zum Vortrag ausgewählt. Das kenn ich von Kirchenchorälen her, besonders von jenen der Barockzeit: Aus 15 Strofen, die „Geh aus mein Herz und suche Freud“ umfaßt, werden für einen Gottesdienst vier oder fünf ausgewählt. Und wenn Otto Reuter vor hundert Jahren auf die Berliner Bühne gestiegen ist, hat er von den sechzehn Strofen, die es bei manchen seiner Couplets gibt, vielleicht acht vorgetragen.

Ich beschränke mich bei der Betrachtung auf sechs Cohen-Strofen, die eher häufig kursieren.

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„Halleluja“, übersetzt „Lobt JHWH“, „lobt Gott“, stammt aus der Bibel. Genauer: Aus dem Buch der Psalmen, in 16 der 150 Psalmen kommt es vor. Bleiben wir bei diesem Buch:

David, der in Cohens Anfangsstrofe namentlich vorkommt, wird bei rund der Hälfte aller Psalmen als Urheber genannt. Wobei just das Wort „Halleluja“ in keinem der sogenannten Davidspsalmen enthalten ist. Vor einigen Psalmen findet sich die Anweisung „Zu Saitenspiel“ oder „zur Schemanath“ (= von einem Harfenspieler begleitet).

Weitere Bibelstellen werden in drei von Cohens Strofen angerissen.
Schlagen wir sie nach:

A:
1.Samuel 16, 17-25. David hat Harfe gespielt und mit seiner Musik dem gemütskranken König Saul Linderung verschafft.

B:
2.Sam 11, 2 ff. David, inzwischen selbst König, sieht vom Dach seines Palastes aus Bathseba baden. Er läßt sie holen, schwängert sie, treibt Bathsebas Ehemann in den Tod. David wird von Gott gestraft: Der Sohn, den er mit Bathseba hat, stirbt. Davids Thronmacht freilich bleibt unangetastet.

C: Richter 16, 18. Deliah ahnt, wie der bärenstarke Samson zu überwältigen sei: Als er auf ihrem Schoß eingeschlafen ist, ruft sie „einen Mann, und der schnitt ihm die sieben Strähnen seines Haupthaars ab.“ Dadurch ist Samson seiner Kräfte beraubt.

D: 2.Mose 20,7. In den Zehn Geboten heißt es: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen.“

Nehmen wir eine Stelle noch dazu:

E: Johannes 20, 24 ff. Thomas, ein Jünger Jesu, hört von der Auferstehung und zweifelt: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.“ Als Jesus dazukommt, gestattet er Thomas die Überprüfung, bemerkt aber: „Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

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Andeutungsweise werden diese Stellen aufgegriffen. So:

A: „Wie ich höre, gab´s einen geheimen Akkord, den David spielte. Der gefiel Gott.“

B: „Du sahst sie auf dem Dach baden.“ (Schau an: Beim Wannen-Spannen steht diesmal nicht der Zuschauer auf dem Dach, sondern die Wanne!)

C: „Sie schnitt dein Haar.“

D: „Du sagst, ich mißbrauchte den Namen Gottes. Aber ich kenne den Namen nicht mal!“

E: „Dein Glaube war stark, doch du brauchtest den Beweis.“

Jedesmal wird der Bezug sehr knapp gehalten, jeweils wird ganz kurz angetippt und sofort gegengesteuert. Lesen wir die drei Strofen komplett:

1. Ich hab gehört, da gab´s einen geheimen Akkord, den David spielte, und der gefiel Gott. Aber du magst keine Musik, oder? Er geht so: Quarte, Quinte, Mollerniedrigung, Durerhöhung – der verwirrte König beim Halleluja-Komponieren.
2. Dein Glaube war stark, doch du brauchtest den Beweis. Du sahst sie auf dem Dach baden, ihre Schönheit und das Mondlicht hauten dich um. Sie fesselte dich an einen Küchenstuhl, zerbrach deinen Thron und schnitt dir´s Haar ab und zog dir aus den Lippen das Halleluja.
3. Du sagst, ich hätt den Namen Gottes mißbraucht? Ich kenne den Namen nicht mal. Aber wenn ich´s getan hätte, was kümmert´s dich? In jedem Wort gibt´s so ein Schimmern – es ist egal, welches Halleluja du gehört hast: das heilige oder das gebrochene.

Merkt ihr´s, das Antippen und Gegenlenken? Bathseba- und Deliah-Geschichte werden sogar einer-und-derselben „she“ aufgeladen.

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Lesen wir drei weitere Strofen (das englische Original ist im Netz zu finden):

4. Ich tat mein Bestes, das war nicht viel. Ich konnte nichts fühlen, deshalb versuchte ich´s mit Berühren. Was ich sag, ist wahr, ich will dich nicht verscheißern. Und obwohl alles schief gelaufen ist, steh ich vorm Gott des Gesanges mit nichts als einem Halleluja.

5. Okay, Baby, ich war hier schon mal. Dies Zimmer hab ich gesehen, bin über diesen Fußboden gelaufen. Bevor ich dich kannte, hab ich immer allein gelebt. Und ich sah deine Flagge am Marmorbogen, und die Liebe ist kein Triumphmarsch. Ist ein kaltes, gebrochenes Halleluja.

6. Okay, vielleicht ist ein Gott da oben. Aber alles, was ich von der Liebe gelernt hab, ist: wie du auf einen schießt, der schneller geschossen hat als du. Und es ist nicht ein Schrei, den du nachts hören würdest, nicht jemand, der das Licht gesehen hat. Es ist ein kaltes, gebrochenes Halleluja.

Zur hier mit „4“ bezeichneten Strofe sag ich nachher was. Die beiden anderen („5“ und „6“) bezeichne ich einfach als Charles-Bukowski-Strofen Eins und Zwei.

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Die durchweg unsauberen Reime auf „Halleluja“ haben Cohen wohl Spaß gemacht:
„Do you?“, „overthrew you“, „to you“, „outdrew you“, „knew you“, „fool you“. Kein exquisites Reim-Fundstück ist dabei, kein Kunststück wie das Reimpaar „Recycling-Feigling“, das Peter Rühmkorf schon in den Sechziger Jahren verwendet. Cohen erreicht seine gleichmäßig schiefen Assonanzen durch eine simple Masche: Jedesmal steht „you“ am Schluß der dritten Strofenzeile, was mit der Endsilbe der sechsten Zeile, dem „ja“ von „Halleluja“, nicht übereinkommt. Wie soll ich sagen? Er schafft Schiefklang nach e i n e m Schema – etwa wie ein Boogie-Pianist, der stets, wenn´s schräg tönen soll, den ganzen Unterarm in die Tasten rammt.

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Freilich, neben ihrem Schiefklingen sollen diese Reime auch das leisten, was edelste Aufgabe und Fähigkeit von Reimen ist: Grundverschiedenes miteinander verkoppeln. In diesem Fall: Die Reime sollen Deutlich-nicht-Halleluja-Mäßiges mit dem Wort „Halleluja“ zusammenspannen.

„Reime“, schreibt Peter Rühmkorf, „stehen unter Spannung und drängen ihrer Natur nach auf Entladung: Licht-, Kraft- und Wärmeentfaltung in der Strophe.“ Ein Reimpaar aus stark heterogenen Partnern bietet Energiepotential. Wobei sich Heterogenität an mehreren Bezugspunkten finden lassen kann: Sie kann phonetischer Natur sein (wenn z.B. eine „Primel“ auf eine „E-Mail“ reimt; auch Cohens Schiefreime gehören hierher), die Heterogenität kann auch von Charakter und Umfeld der Reimwörter herrühren („Plötzlich platzt Pariser, peng!/ darauf einen Dujardeng!“), oder vom Charakter ganzer Reimzeilen oder -zeilenpaare. Nehmen wir als Beispiel dafür zwei Rühmkorf-Strofen:

„Weißt du noch, wie du noch Wasser im Blick,
flußweis oder im Kübel — –
spar dir die Zeit und vertreib nicht das Glück
mit deinem Rückwärtsgegrübel.“

Zwei Zeilen Assoziation, Frage, unvollständiger Satz; dann zwei Zeilen Sinnspruch, Aufforderung, korrekter Satzbau.

„Denn was du liebst, das ist, was du erprobst
als wär´s zum ersten Mal.
Einziger Mai mit Möwen überm Obst
und Silber im Kanal.“

– womöglich zum ersten Mal wird hier der Reim „erprobst-Obst“ erprobt. Und abermals gibt´s klare Heterogenität der Zeilen 1/2 und 3/4: Diesmal beginnt´s mit der abstrakt formulierten Sentenz; das zweite Zeilenpaar bietet dann konkrete Details, subjektiv geschildert.

Ähnlich verfährt Cohen: „Well, your faith was strong but you needed proof./
You saw her bathing on the roof“ – eine Zeile abstrakte Sentenz, zweite Zeile konkrete Erzählung. Oder der Dipolcharakter des Dreizeilers: „Well, maybe there’s a God above/ But all I’ve ever learned from love/ Was how to shoot somebody who outdrew ya“ – auch hier folgt der sehr allgemeinen ersten Zeile das Ganz-Andere: sehr spezielle Konkretion.

Dann gibt´s auch das Zurückrudern innerhalb einer einzigen Zeile: „Well, your faith was strong but you needed proof“, „I did my best, it wasn´t much“.

Halten wir fest: Bibel-Anklängen und Sentenzen folgt sofortiges Gegensteuern, dem Wort „Halleluja“ wird jeweils Nicht-Halleluja-Würdiges (das gilt inhaltlich wie phonetisch) vorausgeschickt. Solche Gegenbewegung auf engem Raum stellt ein elementares Gestaltungsmittel des Texts dar.

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Hätt´ uns Cohen hier eine zusammenhängende Geschichte erzählen wollen, au weia! Spätestens ab Strofe 2 würden wir nichts mehr kapieren. Wechselt hier doch die Erzählperspektive. In der ersten Strofe redet ein Ich-Subjekt ein Du an, in Strofe 2 taucht kein Ich auf. Stattdessen redet das lyrische Subjekt jetzt von sich in der Zweiten Person.

Betrachten wir diesbezüglich alle sechs Strofen: Das als Schief-Reim-Wort unverzichtbare „You“ erscheint in jeder Strofe; „I“ in jeder Strofe außer der zweiten. Strofe 1, 3, 4 und 5 zeigen übliches Ich-Du-Verhältnis: Ich=Subjekt; Du=Gegenüber. Wie gesagt: In Strofe 2 gibt´s kein „Ich“, hier fungiert das „Du“ als Sprachrohr des Subjekts. Und in 6 spricht das Subjekt als „Ich“ u n d als „Du“ von sich: „was ich von der Liebe gelernt hab, ist: wie du auf jemanden schießt (…)“ – hier meint „ich“ die Person des Sprechers, „du“ meint die Person des Sprechers plus alle andern.

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Was muß eine Strofe aufweisen, damit sie in Cohens Halleluja-Sammlung mit rein darf?
Dies: Schmutz oder einen rhetorischen Bruch. Oder beides.

Nehmen wir die beiden Bukowski-Strofen. Sie verlaufen, verglichen mit den anderen Strofen, recht homogen, ohne deutlichen Bruch. Sie brauchen ihn nicht, weil die Zulassungsvorraussetzung „Schmutz“ erfüllt ist. In den restlichen Strofen dominieren Brüche. Strofe 2 mit den Anspielungen an zwei Frauen des Alten Testaments zaubert einen nicht-biblischen Küchenstuhl herbei nebst Fesselung an ebendiesen. Strofen 1 und 3 sind als Frage-Antwort-Spiele gestaltet.

Und was ist mit Strofe 4? Bei mir heißt sie „Verscheißerungsstrofe Zwei“.
Jener „God of song“ – keinesfalls wär er identisch mit dem Gott Abrahams, Davids und Jakobs, dem im Alten Testament Halleluja gesungen wird. Der ist Gott-Allein, nicht Liebesgott, Kriegsgott, Songgott oder sonstiger Teilhaber am polytheistischen Himmel. Der „God of song“ dagegen gehört zum „Temple of song“, den ein anderes Scherzlied Cohens besingt. Mag einer die Zeile „I did my best, it wasn´t much“ als aufrichtiges Demuts-Bekenntnis nehmen, von mir aus. Ich nehm sie als Ironie. Entscheidend ist: Sie erfüllt die oben benannte Großen-Gestus-Aufmache-und-Zurücknehme-Form, vergleiche die Stelle „There´s a mighty judgement coming, but I may be wrong“ aus dem „Temple of song“.

Zur Verscheißerungsstrofe wird die Strofe durch ihre dritte Zeile: „I’ve told the truth,
I didn’t come to fool you“. Ich könnt´ mich auf dieses Niveau einlassen und antworten: „Und das sagst du j e t z t  e r s t, in der vierten Strofe?!“ Tatsache ist: In einer Liebesbeziehung sagt man so etwas nicht, in einem lyrischen Gedicht schon gar nicht.
Schreibt Goethe an Frau von Stein: „Du warst in einem frühern Leben/ meine Schwester oder meine Frau“, dann setzt er dahinter kein „Echt, du. Ohne Scheiß jetzt! Is ehrlich meine Überzeugung“ – nee! Und umgekehrt: Ich kenne Stand-up-Comedians, die gerade dann, wenn das Publikum sich ausschüttet vor Lachen, rufen: „Nein! Das war kein Witz jetzt! Das hab ich so erlebt!“

Rhetorik halt.

Sagt einer „I didn’t fool you“, ist bei mir als Hörer mein Vertrauen in ihn zerstört – sofern welches da war.

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Kommen wir zu Verscheißerungsstrofe Nummer Eins: der Lied-Anfangsstrofe, der nonsens-lastigsten der Strofen. Überfliegen wir sie nochmal: Einer behauptet, einen secret chord zu kennen, und ihn nun seinem Gegenüber mitzuteilen. Wobei von diesem angenommen wird, daß es sich nicht für Musik interessiere. Folgt eine Beschreibung, die keinen Sinn ergibt. Schließlich heißt es, König David sei beim Komponieren verwirrt gewesen.

Für einen ZEIT-Magazin-Artikel über Robert Gernhardt hat Dieter E.Zimmer diesen interviewt und ihm eine interessante Definition von Nonsense abgelauscht. Gernhardt wird so zitiert:

„Nonsens ist eben kein bloßes Witzeln. Nonsens braucht mehr Raum. (…) Er braucht ein System, ein Denksystem oder ein Reimsystem, das Sinn produzieren möchte und dem der Sinn verweigert wird. Der Leser oder Zuschauer muß erst einmal in eine ihm sinnvoll erscheinende Struktur hineingelockt werden, und dann muß sich ihm der Sinn entziehen.“

Eben dies praktiziert Cohen hier exemplarisch. Er lockt den Hörer in eine sinnvoll erscheinende Struktur, und verweigert dann Sinn. Wieso wird ein geheimer Akkord weitererzählt? Wieso einer Person, die sich nicht für Musik interessiert? Warum ergibt die Nennung der Akkordtöne nichts Greifbares? Warum war der König verwirrt?

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Betrachten wir nocheinmal speziell die dritte Zeile: „But you don’t really care for music, do you?“

Ein dicker Hund.

Ich kenn Leute, die keine Lust haben, Musiknoten-Lesen zu lernen. Leute, deren Lieblingsstücke höchstens drei Akkorde haben dürfen – sollten in einem Lied ein vierter und fünfter vorkommen, pfui Deubel. Aber nie würden die von sich behaupten, an Musik nicht interessiert zu sein. Bei denen läuft öfter Mucke als bei mir!

Jemanden, der das von sich sagen würde, jemanden, der auf Cohens Frage antworten würde: „Stimmt! Schmetterlinge und Schispringen, das interessiert mich, aber Töne und Rhythmen und so, also nee!“ – den gibt´s nicht! Würd man diese Frage tatsächlich einem Gegenüber stellen, es wär eine glatte Beschimpfung. Ein genervter Gymnasiallehrer für Musik – der etwa mag seine undisziplinierte Klasse anschnauzen: „Musik interessiert euch gar nicht, wie?“

Ein Freund, dem ich davon erzähle, lenkt ein: Cohen meine, nicht interessiert an Musiktheorie, an Akkordlehre und so. Meint er das? Das steht aber nicht da. Da steht: „Musik bedeutet dir nichts. Hab ich recht?“

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Und dann gibt´s noch was. Nämlich die ersten beiden Silben des Textes:

„I´ve heard“.

Wo, Cohen, hast du das gehört, das vom geheimen Akkord? Das ist doch deine eigene Erfindung – von der behauptest du: Das war ich nicht! Jemand anderes hat´s erzählt!

Mir fällt ein Gedichtanfang Eduard Mörikes ein: „Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden.“

Nö! rufe ich, sooft mir diese Zeile begegnet. Stimmt nicht!

Man sagt nämlich nicht, daß die Liebe am Pfahl gebunden stehe. „Liebe geht durch den Magen“, sagt man, und „Liebe macht blind“. Aber das ist mit dem Pfahl ist deine Erfindung, Mörike!

Nun lese ich, Mörike habe da zunächst zwei andere Silben drin gehabt. Die ersetzte er dann durch dies „sagt man“ – wohl, um seinem drastischen Bild einen Anschein von Objektivität zu verleihen.

Und bei Cohen – will auch er seiner Geschichte vom secret chord Objektivität verleihen?

Ach was, das hat Cohen nicht nötig. Er ist viel selbstbewußter als Mörike. Warum schreibt er´s dann?

Weil er zwei Silben braucht. Und weil er sich mit diesem „I´ve heard“ witzig vorkommt. Mal wieder.

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Fassen wir zusammen. Was hatte Cohen vor? Er selbst behauptet: ein „broken Halleluja“.

Das heißt: Er wollte zu einem Refrain, der ausschließlich aus „Halleluja“ besteht, antipodische Strofen verfassen. Entsprechend lautet das Anforderungsprofil an jede Strofe: Zum Refrainwort, das so vokalisch, so gedehnt, so harmonisch, so hingebungsvoll und logikfrei ist, bilde einen starken Gegensatz.

Ich habe dargestellt, daß Cohen das überwiegend durch zwei Mittel umsetzt:
durch rhetorische Brüche und durch eine bukowskigeschulte Dirty-Tönung.

Auch hier steht Cohen in einer langen Tradition. Die Schlager der Dreißiger und Vierziger Jahre leben oft vom Strofe-Refrain-Gegensatz: eins von beiden ruhig, das andere scharf rhythmisch, eins von beiden Dur, das andere Moll.

Zum Vergleich will ich aber ein noch etwas älteres Lied herzitieren, dem eben das glückt, was Cohen hier gern hinbekommen hätte. Sein Verfasser zählt gewiß nicht zu meinen Lieblingen. Aber der Anschaulichkeit halber steuert er gern eine Strofe samt Refrain bei:

Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen
Und ich mache das Bett für jeden.
Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell
Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt „Was ist das für ein Geschrei?“
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern
Und man sagt „Was lächelt die dabei?“

Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.

Das hat Kraft. Wieso? Klar, die Strofe kommt ohne rhetorische Schubumkehr aus, sie zeichnet stringent Milieu: „meine Lumpen und dies lumpige Hotel“. Brecht bringt´s gern einfach und mit dickem Pinsel, man erkennt, was gemeint ist. Und nun kommt der Refrain, die Vision, der Wunschtraum dieser Frau. Und der heißt nicht Schloß und Blumeninsel, auch nicht Krieg, Krätze und Vernichtung für euch Arschlöcher. Er heißt: Acht, er heißt: fünfzig, er heißt: Ruhe. Zunächst ganz ruhig liegen die acht Segel und fünfzig Kanonen am Kai. Dies beides: Präzision der Zahlen und Ruhe der Bedrohung, verleiht der Vision Wucht.

Was mich betrifft, ich finde Kriegsschiffe und Kanonen entsetzlich. Aber ich kann nicht umhin, anzuerkennen: Der Wunschtraum dieser Frau, so unähnlich dem meinen er sein mag – – so also – Acht, Fünfzig, Ruhe – sieht er aus.

Und Cohen?

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Warum kann ich seinem Halleluja kein gutes Zeugnis ausstellen?

Ich sehe zwei Hauptprobleme.
Erstens ein Zuwenig, zweitens ein Zuviel.

Zuwenig: Der Plan vom „broken Halleluja“ wird nicht eingelöst. Broken zwar ist sein Text, ein Halleluja ist er nicht.

Das Wort Halleluja wird wohl aufgespannt. Ein Segel, aber nichts pustet rein. Wo bleiben die Energien des Lobpreises (wer schon mal einen Gottesdienst bei Charismatikern besucht hat, weiß, was ich meine)? Jener Geisteshauch, der die Lungenflügel des Lob- und Dankgefühls anschwellen läßt?

Ich setze ein Beispiel für ein broken Halleluja hierher:

Gelobt sei der HERR, mein Fels, der meine Hände kämpfen lehrt und meine Fäuste, Krieg zu führen,
meine Hilfe und meine Burg, mein Schutz und mein Erretter, mein Schild, auf den ich traue, der mein Volk unter mich zwingt.
Sende Blitze und zerstreue deine Feinde, / schick deine Pfeile und erschrecke sie,
streck aus deine Hand von der Höhe. Erlöse mich und errette mich aus großen Wassern, aus der Hand der Fremden,
deren Mund Falsches redet und deren rechte Hand trügt.
Gott, ich will dir ein neues Lied singen, ich will dir spielen auf dem Psalter von zehn Saiten, der du den Königen Sieg gibst und erlösest deinen Knecht David vom mörderischen Schwert.
Wohl dem Volk, dem es so ergeht! Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist!

Das sind einige Verse aus Psalm 144. Merkt ihr, daß Gott da gelobt wird mit Hoffnung im großen Streß? Und mit brandneuer, noch kaum richtig flügge gewordener Dankbarkeit? Daß dieser Lobpreis ein stark angefochtener, ein gebrochener ist?

Das ist nämlich das Schwere für einen Dichter: Danke zu sagen. Cohen tut es hier nicht. Er macht ungefähr dasselbe, was zwei Bekannte von mir mal gemacht haben: Die haben Martin G. Schneiders „Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag“ zu einer Travestie verwendet, bei der nach „Danke für“ jeweils etwas höchst Negatives folgt. Ein zynischer Text: Das Wort „Danke“ wird ausgesprochen, doch wird kein Dank gesagt. Ähnlich hier – auch ohne daß Cohens Text zynisch wäre: Er spricht das Wort „Halleluja“ aus, doch singt er nicht Halleluja.

Zweitens ein Zuviel.

Der Theaterkritiker Dürrenmatt schreibt:
„Nichts wäre dem Kritiker erwünschter, als den Fröhlichen Weinberg für eine Harmlosigkeit nehmen zu können, die zu übersehen ist wie andere Harmlosigkeiten auch (…). Doch da Zuckmayer es nicht lassen kann, das Ganze als Dichtung anzumelden, (…) muß denn wohl in den bitteren Kampf gezogen werden.“ Den bitteren Kampf nämlich, Stück und Inszenierung zu geiseln.

Gern würde ich bei Cohens Text einfach weghören können und auf Durchzug stellen. Cohen, Weltstar der Popmusik, verkörpert für seine Fans eine Kultfigur, ein Lebensgefühl: kosmopolitischer Grenzgänger, kettenrauchender Ahasver mit Ambitionen, ernsthaft Buddhismus zu praktizieren. Seinem Publikum bietet er ein Gesamtpaket, ausgepolstert von weichen Arrangements. Weshalb die Textzeilen vom Rezipienten oft gar nicht vollständig nackt ausgepackt werden.

Doch Cohen unterläßt es nicht, von einem Broken Halleluja zu sprechen, unterläßt es auch nicht, sich als Witzbold zu versuchen. Was mich leider hellhörig werden läßt, denn das sind Gebiete meines Alltags. So, Cohen, müssen Sie´s ertragen, daß ich entsprechende Maßstäbe anlege. Und dann sieht´s auf beiden Gebieten – auf dem Lob-und-Dank-Sage-Gebiet wie bei der Komik – etwas dürftig aus.

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Ein rein persönliches Problem hab ich mit diesem landauf-landab auf Hochzeiten und in Restaurants dudelnden Lied noch. Als Christ stelle ich mir ja tatsächlich manchmal vor, im Jenseits später zum Lob des Höchsten Halleluja singen zu dürfen. Die Vorstellung aber, daß das womöglich nach der öden, blöden Cohen-Refrain-Melodie geschehen müßte (die Melodie der Strofen mag ich übrigens) – – die quält.

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