1

ihr fragt
gibt’s
keine auferstehung der toten?
ich weiß es nicht

ich weiß
nur
wonach ihr nicht fragt:
die auferstehung derer die leben

ich weiß
nur
wozu Er uns ruft:
zur auferstehung heute und jetzt  

So heißt es in einem vielzitierten Gedicht, das aus dem 1976 erschienenen Gedichtband „Leichenreden“ des Dichters und Pfarrers Kurt Marti stammt. Die Erzählung vom Auferstehungswunder wird heruntergekürzt und bezweifelt, stehen bleibt ein Appell zum konkreten Handeln. Als Jugendlicher hab ich das Gedicht kennengelernt und gemocht: Los, steht auf! Und demonstriert mit uns, gegen Kernenergie und Nachrüstung! So meine Haltung damals. Fünfundvierzig Jahre später – die öffentlichen Themen haben sich gewandelt, privat hab ich Fälle aussichtsloser Krankheit und plötzlicher Tode kennengelernt – spend ich dem Runterrechnen keinen Beifall mehr. Von Pfarrern, die heute in diesem Tenor predigen, wende ich mich ab und halte mich an diejenigen, die sagen: Auferstehung der Toten? Ich glaube, ich weiß da was.

Ein Herunterkürzer ist auch Brecht gewesen. Zunächst auf dem Gebiet der Liebe – als sei er berufen, gegen romantische Verblendung und für körperliche Fakten zu plädieren. In der aus dem Nachlaß publizierten Rollenprosa „Über Gelegenheiten“ doziert ein Chauffeur: Ob Sex zustandekomme oder nicht, dafür seien schlicht die praktischen Rahmenbedingungen verantwortlich: „Sie können alles tun mit einer Gelegenheit, nix ohne.“ Und Erinnerung an die Marie A.“, jenes Gedicht, das als eins der zartesten Brechts gilt, erzählt einfach gesagt: An die Wolke kann ich mich erinnern, an die Frau nicht: „Ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer“. Charmant ist das nicht. Gleichwohl mögen einige – unter ihnen einige Frauen – solche Ehrlichkeit als Fortschritt empfunden haben.

Auch den Mythos von der Taoteking-Entstehung rechnet Brecht auf materielle Parameter herunter. Richard Wilhelm, dessen Taoteking-Übersetzung Brecht verwendete, skizziert die Legende im Vorwort:

Als die öffentlichen Zustände sich so verschlimmerten, daß keine Aussicht auf die Herstellung der Ordnung mehr vorhanden war, soll Laotse sich zurückgezogen haben. Als er an den Grenzpaß Han Gu gekommen sei, nach späterer Tradition auf einem schwarzen Ochsen reitend, habe ihn der Grenzbeamte Yin Hi gebeten, ihm etwas Schriftliches zu hinterlassen. Darauf habe er den Tao Te King (…) niedergeschrieben und ihm übergeben. Dann sei er nach Westen gegangen, kein Mensch weiß wohin.“

Brecht nennt den Grenzbeamten einen „Zöllner“, welchem Begriff, zumindest von den Evangelien her, negativer Beigeschmack eignet: „wie der zöllner im neuen testament den juden ein ärgernis ist, so bezeichnet das wort allgemein den geringen, sündigen und verachteten“, sagt das Grimmsche Wörterbuch. Ob das für Grenzbeamte in der chinesischen Tradition auch galt? Sicher ist, auf dem Weg ins Exil stellt der Aufenthalt an der Grenze eine Störung dar. Gleichwohl, Laotse zeigt sich bereit, der Bitte zu folgen. Ohne dass er Gewinn für sich selbst daraus zöge, aus purer Menschenliebe – eine für Heiligengeschichten typische Darstellung. Auch dass sich Laotses irdische Spuren daraufhin verloren (ähnlich denen Jesu bei seiner Himmelfahrt), paßt hierher. Natürlich lobt die Geschichte auch den Beamten, ohne dessen Bitte ja kein Taoteking vorliegen würde. Die Moral der beiden Brecht-Schlußzeilen („Darum sei der Zöllner auch gepriesen“) geht schon aus der Legende hervor.

Brecht baut praktische Gründe für den Aufenthalt ein: Der Knabe ist müde, der Beamte bietet Kost und Logis. Der Mythos wird ent-romantisiert und entheiligt, das Gedicht berichtet eine Entscheidung aufgrund sachlicher Argumente. Und straft seine eigene Überschrift Lügen: Es stellt keine Legende mehr dar – so wenig, wie Brechts „Ballade vom Wasserrad“ eine Ballade, Zweigs „Schachnovelle“ eine Novelle oder der „Flohwalzer“ ein Walzer wäre.

2

Ich bin ich kein Brecht-Verschmäher. Mindestens dreien unter seinen Gedichten gönne ich ihre Berühmtheit: Erstens: „An die Nachgeborenen“ –

Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

– eine Prosarede, die sich Lyrik nennt, was nichts weiter bedeutet als: dass sie etwas langsamer als üblich gelesen und für etwas bedeutungsvoller als manches andere genommen werden möchte.

Zweitens: „Vom armen B.B.“

In meine leeren Schaukelstühle vormittags
Setze ich mir mitunter ein paar Frauen
Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen:
In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

Gegen Abend versammle ich um mich Männer
Wir reden uns da mit “Gentlemen” an.
Sie haben ihre Füße auf meinen Tischen
Und sagen: Es wird besser mit uns. Und ich frage nicht: Wann?

Klar, das ist machohaft und angeberisch. Aber es ist auch cool, und dieses kantige Gehabe, diese Attitüde lässiger Kunstlosigkeit – mit weit voneinander entfernten Reimen, die gar nicht auffallen -, diese Sprechweise gab’s vorher so nicht, das hat schon was.

Drittens – um das Dreigestirn sehr unterschiedlicher Gedichte zu vervollständigen – dem schlichten, weisen Zwölfzeiler „Am Grunde der Moldau“. Nebenbei liefert er einen Beleg dafür, dass es zeitlose Lyrik gibt: Diese Verse könnten eben so auch von Goethe im 18. Jahrhundert geschrieben worden sein, oder von C.F.Meyer im neunzehnten.

Gleichwohl, Brechts Freund werde ich nicht. Zartheit, Glanz, Feinschattierung, jenes Raffinement, das große handwerkliche Fähigkeiten verlangt –

hier kann ich’s nicht finden. Immer wieder drängt sich mir ein Verdacht auf Brechts Verfremdungstheorie betreffend. Die ja, einfach gesagt, verlangt, Bühnenfiguren so zu gestalten, dass kein Zuschauer sich zu identifizieren oder gar eine Figur zu bewundern versucht sei. Brecht wünscht ein Theater ohne Heldenkult, das kann ich nachvollziehen. Aber er drückt sich halt auch drum herum, faszinierende Gestalten zu schaffen (was etwa der ein Jahr ältere Kollege Zuckmayer noch, mit hohem Aufwand, anstrebt). Dieser Mühe unterzieht er sich nicht, und hat mit der Verfremdungstheorie die passende Entschuldigung dafür bereit.

Kurz, Brecht pflegt die derbe Kneipenklavierpfote, auf seinem Programm steht kein Claire de lune, sondern Rock around the clock. Schön, dass es auch das gibt, sag ich, doch Fan bin ich nicht. Ja, Brechts Kindergedichte und Kalendergeschichten find ich sogar schrecklich. Jene pädagogischen Elementarbauklötze – wer, wie ich, J.P.Hebels „Schatzkästlein“ liebt, kann sie schwerlich ernst nehmen. Immerhin zeigen sie, dass Brecht sich auf Fokussierung und knappen Ausdruck verstand.

3

Zurück zum Taoteking-Gedicht. Generell halt ich es für weder für besonders schlecht noch für irgendwie gut gemacht, vielmehr für so unauffällig und belanglos, dass ich kein Wort darüber verlieren würde, wenn nicht –

Wenn ich nicht auf einem Privatfest einen Akademiker dieses Gedicht hätte vortragen hören im Gestus, als handle sich’s um ein Heiligtum. Und wenn mir, darob hellhörig geworden, nicht mehrere Bekannte von ähnlichen Vorträgen des Werkleins durch andere Intellektuelle berichtet hätten. Was mir Gruseln verschafft: Zeugt es doch von entschiedener Fehleinschätzung einer zügig, ja, schlampig gezimmerten Routinearbeit.

4

Ein Strofenlied liegt vor, doch keine feste Strofenform. Konstant bleiben Zeilenanzahl und Reimschema (ababb) – wie Peter Rühmkorf aufzeigt, hatte vor Brecht schon Ringelnatz Fünfzeilerstrofen dieses Schemas verwendet –, die Zeilenlängen variieren. Unter 13 Strofen finden sich gerade zwei, deren Zeilenlängen durchweg identisch sind: die Strofen 7 und 8.

Eingangs mag der Eindruck entstehen, zwei mittellange Zeilen würden von zwei längeren gefolgt, bis eine verkürzte fünfte Zeile die Strofe abschließe. Er bestätigt sich und bestätigt sich nicht. Tatsächlich können Strofenzeile 1 und 2 jeweils 5 oder 6 Hebungen aufweisen, die Strofenzeilen 3 und 4 jeweils 5, 6, 7 oder auch 8 Hebungen, die Strofenschlußzeile 3, 4 oder 5 Hebungen. D.h., unsere Form-Ahnung: zwei mittellange Zeilen, zwei längere, eine verkürzte – bestätigt sich nach Art der Relativitätstheorie und ihrer Orbitalbahnen: handelt sich’s bei diesen sog. „Schalen“ der Elektronenbewegung doch um keine tatsächlichen Bahnen, sondern um Aufenthaltswahrscheinlichkeiten. Analog hier: mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird eine Zeile der Strofenmitte länger ausfallen als eine vordere oder hintere.

Schlimm? Nö. Müßte ich das Gedicht vertonen, würd’s freilich stören. Für Brechts Verhältnisse erscheint das Gedicht vergleichsweise ebenmässig – er will hier klassisch-seriös klingen.

5

Etwas anderes mißfällt mir. Jene Fähigkeit Brechts, die ich in den Kindergedichten finde: klar zu sein, zuzuspitzen, hier vermiss ich sie.

Worum geht’s eigentlich? Soll’s um die in der Überschrift angekündigte Legende gehen? Offen gesagt beeindruckt sie mich in Richard Wilhelms Prosafassung stärker als bei Brecht. Oder geht’s um ein Portrait? Darum, zu skizzieren, was für eine Lifestyle-Ikone Laotse gewesen sei? Ausgiebig schildert Brecht den geduldigen, pfeiferauchenden Philosophen mit seinem Knaben-Attaché. Ein Duo, das an den sympathisch-genießerischen Galilei und seinen Schüler aus Brechts entsprechendem Drama erinnert. Anscheinend sah Brecht solche älteren Herren als taugliche Sympathieträger an. Okay – doch in summa gefällt mir dieses Dekor, diese Ausschmückung der Legende nicht.

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Und schon gar nicht jene – wiederum brechttypische – Anbiederung an die kleinen Leute, mit der sie einhergeht:

denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.

Wobei der Philosoph, der Autor Brecht und die lieben Leser selbstverständlich der Seite der Güte angehören.

Auch der Zöllner verkörpert sie:

Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und er murmelte: „Auch du?“

Zweimal findet hier das Wort „höflich“ Verwendung, beide Male so, dass das Versmaß aus dem Leim geht: „Eine höfliche Bitte abzuschlagen“ / „Sagt jetzt: kann man höflicher sein?“

Und das stört mich nun am meisten: dass Brecht den Knackpunkt der Geschichte aufweicht. Die Legende erzählt: Ein Intellektueller, dem’s im Staate schlecht ergeht, will auswandern, da hält ihn so’n Arsch vom Zoll auf. Aber weil der Arsch höflich bittet, willfährt ihm der Weise. So, wie auch Jesus den ungeliebten Zöllner besucht, weil der sich um ihn bemühte. Und das ist stark.

Bei Brecht muß der Weise erst noch erkennen: Das ist ja gar kein Arsch, sondern ein armer Schlucker. Und muß überdies zu alt sein, die Bitte abzuschlagen, und der Knabe hungrig und müde – lauter Abschwächungen.

7
Ausschmückung auch, dass ein Zitat Laotses eingeflochten wird. Das verstärkt den Schulfunk-Charakter des Gedichts und verringert die Ökonomie der Darstellung, ihre Reinheit. Die darin bestünde, den Weisen entweder als Redenden oder als Handelnden darzustellen, nicht in beiden Rollen.

8
Pech, daß Brecht hier auch noch ein Flüchtigkeitsfehler unterläuft: Wenn er eben noch das weiche Wasser den Stein besiegen ließ, kommt’s nicht gut, anschließend in der Formulierung „kein Sieger trat da auf ihn zu“ den Sieger als Inbegriff des Negativen darzustellen. Ach, kein weiches Wasser trat da auf ihn zu? Mensch, hätten Se Ihr’n langen Riemen nochmal korrekturgelesen, Brecht!

Nebenbei: Zwischen Sieger-positiv und Sieger-negativ zähle ich zwanzig Zeilen. Wolf Biermann braucht in seinem Text „Du laß dich nicht verhärten“ von dieser Anfangszeile bis zum militanten „Das woll’n sie doch bezwecken,/ dass wir die Waffen strecken/ schon vor dem großen Streit“ sogar nur halb so lang. Was einige nie gestört hat – erst Gegenpol zur harten Zeit zu sein, dann plötzlich doch Waffen dabeizuhaben -, ich find’s voll daneben. Lyrik und Logik gehören zusammen!

9
Ein weiteres Mal haut Brecht sprachlich daneben, diesmal wohl durch den Reim verführt: „Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.“ Entreißen, dieser Gewaltakt paßt weder zum weichen Wasser noch zu den netten Herren hier.

Und gar nicht paßt es zu einem Satz aus dem Taoteking: „Belehren ohne Worte, Vollbringen, ohne zu handeln: So gehen die Meister vor.“ Man muß, gerade, wo’s um Weisheit geht, gar nichts. Manche Weisheit bleibt ungeäußert, sie wird dennoch in die Welt gelangen, auf ätherisch-diffusivem Wege vielleicht. Jenes Feld der Faszination, der Magie – freilich, es war nicht Brechts Domäne, nicht Brechts Ideal.

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Wär das Gedicht als sprachlich gut einzustufen oder eher als schwach?

Es gibt starke Stellen – den Schluß etwa, der direkt an die Entreißen-Stelle anschließt: „Darum sei der Zöllner auch gepriesen,/ er hat sie ihm abverlangt.“ Dieses Statement steht. Oder den Schluß der Anfangsstrofe: „und er gürtete den Schuh“ – klar, Laotse trägt Sandalen. Bemerkenswert umgekehrt, wie routiniert Brecht vorgeht, wenn er Flickwerk treibt. „Und so wär auch das geklärt“ – da war schlicht Platz über, Brecht braucht eine Füllzeile. Also wird die launige Redewendung eingeflochten.

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Oder hier in der m.E. am meisten verbastelten Strofe:

Dass er nicht das letzte Tageslicht verlöre
trieb der Knabe nun den Ochsen an,
und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre.
Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann
und er schrie: „He, du! Halt an!

– „in Fahrt kommen“ bedeutet hier: Als einziger Stillsteher die in Bewegung befindlichen anderen anzuhalten. Naja, naja – –

Was das Reimwort „Föhre“ angeht: hier hat Brecht logisch gerechnet:

1. Auf Bildern aus China gibt’s doch immer diese schwarzen Gehölze, das sind Kieferngewächse. China=Kiefer.

2. Unsere Kiefer wird auch Föhre genannt. Kiefer=Föhre.

3. Wenn China=Kiefer und Kiefer=Föhre, gilt China=Föhre. Kurz, jene chinesischen Gewächse sind Föhren. Sagt da noch wer, das tönt verdächtig? Na, euch werd ich’s zeigen! Quasi bestätigend führt Brecht die Föhre hinterher gleich nochmal ein. Mir wurde von Musikern berichtet, die, wenn sie sich eingangs eines Stückes verspielt haben, bei der Wiederholung den Fehler nochmal spielten, damit man glaubt, das Stück gehe so. Analog Brecht. Sanfte Zweifel: „Föhre, paßt denn das zu China?“, werden – na klar! kuck, da steht sie ja schon wieder, die Föhre! – niedergewalzt. Ich gestehe, dass meine eigenen Reimversuche („und sie bogen schon um eine Möhre“ – „um eine Erdgasröhre“) auch nicht überzeugen.

12

Zusammenfassend formuliere ich fünf Thesen.

1 – Die Geschichte von der Handlung eines Heiligen ent-legendisiert Brecht zur Geschichte einer nüchtern-materiell abwägenden Entscheidung.

2 – Die reine Handlung der Parabel bläst Brecht auf zu einer Art Schulfunk-Feature mit Zitat und Dekor.

3 – Die Verwendung von Sieger-positiv und Sieger-negativ hat Brecht aus Flüchtigkeit übersehen.

4 – Das Wort „entreißen“ hat Brecht wegen Reims und Binnenreims verlockt, es paßt nicht zur dargestellten Handlung. Auch das Wort „höflich“ paßt nicht zur Handlung des Brecht-Gedichts.

5 – Vom sprachlichen Niveau her ist das Gedicht als mittelmäßig zu bezeichnen.


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Conclusio

Der Jazzpianist Chick Corea hat sich an ein Cembalo gesetzt und die Goldberg-Variationen aufgenommen. Die CD hab ich mir angehört, sie ist, aus Cembalistensicht, ganz langweilig. Weil der Meister sich auf dem fremden Terrain ehrfürchtig zurückhält. Die Chick-Corea-Fans sind begeistert: Doll, dass der auch so seriös spielen kann. Ähnlich feiern Brecht-Fans hier, weil ihr Rocker mal so pseudo-klassisch erzählt. Während ich den gezähmten Brecht belanglos, ja, etwas fad finde.

Ich behaupte: Das Deutsche kann feiner, sinnlicher, aromareicher tönen als diese Brecht-Strofen. Ähnlich wie Freunde von mir in ihrer Weinhandlung Trollinger-Fans einen Süditaliener kosten lassen: Probiert einfach mal! Auch so kann Rotwein schmecken – – zu ähnlicher Blindverkostung halte ich nun drei Gedichtstrofen daneben: auch so kann Deutsch klingen. Drei Strofen, die ich, wie Brechts Gedicht, als Jugendlicher im Bändchen „Die schönsten deutschen Balladen“ kennengelernt habe. Wähle jeder, was ihm am meisten zusagt, zuraunt, zudiffundiert.



Eben schlug die dumpfe Geisterstunde,
Und nun schien es ihr erst wohl zu sein.
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den dunkel blutgefärbten Wein;
Doch vom Weizenbrot,
Das er freundlich bot,
Nahm sie nicht den kleinsten Bissen ein.



Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. 
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß, 
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust 
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell 
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann…



Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
„Jesus, Marie! wir sind verloren!“
Vom Mast geschleudert der Matros‘,
Ein dumpfer Krach in Aller Ohren,
Und langsam löst der Bau sich los.
 

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