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Warum Napoleon Frau ist

Im Läuferfeld des Berlin-Marathon werd ich immer wieder von hinten leicht zur Seite gedrängelt. Aha, weiß ich dann, da will wer überholen, das gehört dazu, und mit leichtem Diagonalschritt räum ich eine Lücke ein. Einmal bin ich ruckzuck und sehr energisch aus meiner Linie gedrückt worden. Ich fahre herum, was ist los, wer tut denn sowas? Wieder hat wer überholen wollen. Und zwar diesmal – natürlich, das war ja klar, so durchfährt´s mich jetzt – eine besonders zierliche, schmale Frau.

Möglicherweise hatt ich sie, zäh vor ihr rumtrampelnd, schon seit längerem genervt, und ihre Bewegung fiel deshalb so heftig aus. Doch wahrscheinlich ist das nicht.

Wahrscheinlich aber, daß eine grundlegende Erfahrung für sie einfach so lautet: So zierlich wie ich bin – wenn ich mir Aufmerksamkeit verschaffen muß, dann wird es mit voller Energie sein müssen.

Treffen ein kleiner und ein großer Hund aufeinander, finden wir gewöhnlich den großen höflich und vorsichtig, den kleinen belfernd und mißtrauensgeladen. Beide ahnen, was für sie jeweils die Haupt-Gefahr in der Situation darstellt, beide versuchen ihr auszuweichen.

Im Falle des Großen besteht die Haupt-Gefahr hierin: Ich könnte diesen Kleinen versehentlich zertrampeln. Folgt: Ich muß vorsichtig sein. Im Fall des Kleinen: Ich könnte von dem Großen zertrampelt werden. Folglich schlag ich Alarm.

In meinem Bekanntenkreis gibt´s ein paar Zwei-Meter-und-mehr-Männer. Bei jedem von ihnen ist´s irgendwann losgegangen mit Rückenproblemen. Der übliche Kommentar dazu lautet: Ja, euer Rücken muß ja mehr tragen. Muß er das? frag ich und geb einen andern Kommentar ab: Euer Rücken mußte sich seit jeher regelmäßig verbiegen, krümmen, zusammenstauchen. Tatsächlich kommen diese Großen ja gewöhnlich als Ritter von der traurigen Gestalt daher, etwas eingeknickt.

Umgekehrt sind einige Bühnenstars von kleiner Statur: Maffay, Brandauer, Thalbach. Sie sind – – von klein auf – – gewohnt, stattlich und unzerknittert daherzukommen. Aufzutreten.

Deshalb will ich gar nicht von einem Napoleonkomplex sprechen. Ich sprech vom Napoleonphänomen. Das muß gar nicht unbedingt so sein, daß Erlittenes mit Macht kompensiert werden müßte. Genügt vielleicht, daß hier einfach ein paar mal weniger die Bremse betätigt worden ist.

Da ich große Hände hab, hab ich beim Klavierspielen bald schon dafür Sorge tragen müssen, meine Finger gut einzurollen, nicht zu stark zu spielen, beim Fis-Moll-Dreiklang in Grundstellung meinen Mittelfinger zwischen Gis- und Ais-Taste Platz finden zu lassen und dergleichen. Dafür kann ich leicht eine Dezime, mit Mühe eine Undezime greifen, was gerade auf dem Cembalo große Vorteile bietet. Wer kleine Hände hat, Martha Argerich z.B., übt ganz anders Fingertechnik als ich.

Jungs meiner Generation haben sich – ganz besonders, wenn sie sich zum erstenmal um ein Mädchen bemüht haben – zurückgenommen, haben, wie der Wolf im Märchen, Kreide gefressen: Bloß nichts kaputt-trampeln, keine groben Ausdrücke in den Mund nehmen. Mädchen, umgekehrt, haben bei diesen ersten Rendezvous aufgedreht, das Gaspedal durchgetreten: bloß nicht langweilig, bloß nicht mädchenhaft sein!

So, und davon: vom Gaspedal-Zurücknehmen dem andern Geschlecht gegenüber, weil man zu grob sein könnte, findet sich bei den fünfzigjährigen Männern meines Umfeldes immer noch viel, vom Gaspedal-Durchtreten dem andern Geschlecht gegenüber findet sich bei den Frauen meines Umfeldes noch viel.

Das ist es, was ich zur Männer-Frauen-Rollen-Debatte mitgekriegt hab, nicht mehr, nicht weniger.

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