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Reitet Schuberts Vater zu schnell?

Nachmessungen an Goethes Erlkönig und einigen Vertonungen

Als „beste deutsche Ballade“ hat Carl Loewe den Erlkönig bezeichnet; anderthalb Jahrhunderte später pflichtet ihm Golo Mann bei: Geradewegs um „die deutsche Urballade“ handle sich´s, „es konnte ihr Gleichrangiges folgen, Besseres nie.“ Peter Rühmkorf seinerseits spricht von einem „wirklichen Mittelklassegedicht“ der „Güteklasse B“, und wer immer hier im Recht sein mag: Von jenem Autorenlesungs- und Buchhandlungs-Publikum unserer Tage, von dem Rühmkorf feststellen muß, daß es nicht einmal mehr „den Balladenschiller“ kenne – von jenem Publikum gilt doch: Die Handlung der besagten Goetheballade ist ihm mindestens in groben Zügen vertraut.

Vertraut ist auch eine der weit über hundert Erlkönig-Vertonungen – Golo Mann hält sie für so populär, daß „Melodie und Wort (…) nie mehr voneinander zu scheiden“ seien: jenes Klavierlied Franz Schuberts, das unter Pianisten zusätzliche Berühmtheit erlangte, weil seine in furiosem Tempo repetierten Oktavgriffe eine beinah übermenschliche, unverschämte Anforderung darstellen. Eine kanonisierte Liedkomposition also, der ein kanonisiertes Gedicht zugrundeliegt – Beispiele dafür finden sich nicht allzu häufig in der deutschen Tradition. Noch gesteigert wird die Bekanntheit durch ein kanonisiertes Stückchen Kunstgeschichte, die beiderlei Schöpfer betreffend; genauer, die Kolportage eines einseitigen Mißverständnisses: Goethe – so ist schon im Gymnasium zu erfahren -, Goethe, der ästhetische Übervater, hat vom hohen Roß herab das Wirken der artistischen Erlkönige, der Kleists und der Schuberts, als eingebildete Nebelwolken abgetan.

So weit meine Vorkenntnisse, als ich den Goethe-Schubertschen Erlkönig am Klavier einzustudieren hatte. Daß die berüchtigten Oktavgriffe eine beträchtliche Hürde darstellen würden, darauf war ich gefaßt. Ist ihre Schwierigkeit doch schon von Schubert selbst bemerkt worden: Er hat sich, sooft er den Erlkönig begleitete, an eine erleichterte Fassung gehalten, die mit Duolen auskommt, wo die Fassung letzter Hand Triolen vorschreibt; und ausgerechnet Schuberts Vater soll es gewesen sein, der daran Anstoß nahm und beim Sohn nachfragte, warum er keine triolischen Figuren ausführe? Schuberts Antwort: „Die mögen andere spielen, für mich sind sie zu schwer.“ Kurzum, daß mir dieser Erlkönig Schwierigkeiten bereitete, hat mich keineswegs überrascht. Überrascht gewesen bin ich darüber, daß sich die Schwierigkeiten nicht auf die technische Ausführung des Klavierparts beschränkten – grundlegende Vorbehalte haben sich eingestellt. Ja, während sich die spieltechnischen Probleme im Zuge täglichen Übens verringerten, sind die Vorbehalte nur noch gewachsen; bis sich mein Eindruck ausgeprägt und gefestigt hatte: Schuberts Musik und Goethes Ballade, das kommt nicht überein. Das paßt hinten und vorn nicht.

Wo liegen die Gründe?

… > Wer den gesamten Essay lesen will, kann ihn hier als PDF laden

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